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AutorenbildDr. Albrecht Gundermann

Ode an den Fußball im Alter


Uwe, Abdallah und ich schwören uns ein gegen DuWo. Böse auf den Platz gehen. Hat auch geklappt.


Die Fußball WM in Katar ist vorbei. Also wird es Zeit, sich wieder den wichtigen Fußballfragen zuzuwenden. Zahlreiche Ratgeber beschäftigen sich mit Sex im Alter. Warum redet eigentlich niemand über Fußball im Alter?


„Opa, Opa“, hört man nun gelegentlich anfeuernd vom Spielfeldrand, wenn wir mit unseren Supersenioren (= Männer über 50) des Niendorfer TSV antreten. Das sind keine despektierlichen Rufe, weil aus unseren Laufwegen Gehwege geworden sind und das Spiel ein anderes Tempo hat als früher. Nein, die reine Begeisterung und Liebe zu meinen Mitspielern klingt aus den zarten Kinderstimmen. Denn es sind ... Enkelkinder! Mindestens Küche und Holli haben schon Enkelkinder, die so groß sind, daß sie vom Rand her ihren Großvätern zujubeln. Keine Babies im Maxi-Cosy, sondern richtige kleine Menschen. Ich schwöre; ich habe das gesehen und gehört. Wann ist das eigentlich alles passiert? Waren wir nicht gerade noch jung und träumten von der Karriere als Profifußballer? Und das ganze Leben lag vor uns?


Vielleicht ist die schönste Seite am Fußball im Alter: Das Spiel schlägt eine Brücke für uns – wohlwollend – mittelalte Männer zu unserem eigenen, jungen Ich. Völlig egal ist, ob man 14, 24 oder 54 ist, wenn der Ball im Netz zappelt. Wir sind Ronaldo, Pele, Müller in diesem Augenblick, wenn wir ein Tor machen. Wir sind wie Olli Kahn am Torpfosten betrübt, wenn wir einen Fehler machen. Wir sind Rudi Völler gegen Augenthaler, wenn sich wieder einer verletzt hat. Wir sind der SC Geislingen, wenn wir gegen eine Mannschaft gewinnen, bei denen „einer mal Profi war“. Fußball heißt große Gefühle.


Und mindestens genauso schön: Diese Gefühle werden geteilt mit den Mannschaftskameraden, die man schon seit Jahrzehnten kennt. Wir feiern wie damals, wenn wir gewinnen. Wir fluchen wie damals, wenn wir verlieren. Und das Bier nach dem Spiel schmeckt besser als jedes andere Bier. Spätestens nach 15 Minuten Analyse beim Bier haben wir jedes Spiel eigentlich gewonnen. Und alles ist gut. Echt alles ist gut in diesem Moment. Was für ein Schatz. Legt Euch alle gehackt mit Eurer Psychotherapie und Euren Glückseligkeitsratgebern. Wir spielen Fußball.


Allerdings: Oft will der Geist anders als der Körper. Alle älteren Fußballer berichten von dem Gefühl auf dem Platz, wo alles immer noch schnell aussieht. Und das „Sprintduell“ sich anfühlt, wie Mitte der 80er Jahre auf dem Grandplatz in Quickborn. Die Bewegungen in unserem Kopf sind geschmeidig, die Behandlung des Balles ist elegant. Wenn man dann ausgewechselt am Spielfeldrand steht und den Kameraden auf dem Platz zuschaut, denkt man indes unweigerlich irritiert: „Hä, war das eben auch so langsam, als ich noch auf dem Platz war?“ Ein Grund, warum ich so ungerne ausgewechselt werde; es raubt Illusionen.


Meine Freunde in der Orthopädiepraxis sind geteilter Meinung. Die einen verlangen, daß ich in Zukunft Golf spiele, weil es bescheuert sei, in unserem Alter zu kicken. Die anderen denken, wenn es Spaß macht, sollte man weiterspielen. Seit Jahren bin ich maßgeblich verantwortlich für den cash-flow meiner Orthopäden. Wenn man alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Praxis fröhlich mit Namen begrüßt, weiß man, daß man nicht Golf spielt. Saar, ehemaliger israelischer Marineoffizier, hat mich ausgelacht, als ich eine Weile nicht spielte, weil „alles weh tat“. "You have to play."


Wir sind in Niendorf jede Woche über 20 Spieler beim Training auf dem Platz. Wir essen zusammen Grünkohl. Einige fahren zusammen in den Skiurlaub. Wir sind eine Mannschaft. Jede Woche macht irgendeiner die gleichen Witze beim Warmmachen über die Sprüche unseres Trainers Manuel. Immer sind welche da, die bereit sind, Verantwortung zu tragen: Für das Training, für die Mannschaftsaufstellung, für die Anmelde-App, für die Bestellung neuer Trikots. Toll, da darf es auch gelegentlich weh tun.


Fußball ist kein Golf. Er braucht weniger Platz, nur einen Ball und bringt Menschen zusammen in der ganzen Welt. Wenn ich meine alte Heimat Jerusalem besuche, muß ich mich am Freitagmorgen nicht anmelden, um auf dem Skopusberg Fußball zu spielen. Denn die alten Freunde sind immer noch jeden Freitag um 09 Uhr morgens dort. Moshe Zimmermann ist unser Mannschaftskapitän. Mit 70 hat er noch wie Hrubesch geköpft. Während der zweiten Intifada hat er in der SZ einen Artikel veröffentlicht, wie die wöchentliche Fußballrunde der einzige Moment des Friedens im Nahen Osten sei. Von wegen Frieden! Da ging es immer hoch her. Einmal ist Moshe einfach sauer gegangen und hat den Ball mitgenommen, weil Aasgeier, der Norweger, ihn gefoult hatte. Keiner wußte, wie er zu der Mannschaft kam. Aber auch heute noch, wenn ich zu Besuch in Jerusalem bin, ist Aasgeier am Freitagmorgen auf dem Skopusberg und spielt Fußball. Macht irgendwas mit Religion. Wie das so ist in Jerusalem. Eine Woche danach haben wir alle wieder zusammen gespielt mit Moshe und seinem Ball.


Team Jerusalem – vor 30 Jahren


Große Gefühle, aber nach dem Spiel geht das Leben weiter. Und das Spiel ist Teil davon. Am Ende bleibt nur ein Rat: Macht euch warm vor dem Spiel, trainiert während der Woche eure Muskulatur, aber spielt Fußball solange es geht. Vielleicht höre ich ja auch noch Stimmen meiner Enkel vom Spielfeldrand.



Beim Weihnachtsfußball spielen die Väter auch heute noch jedes Jahr mit den Kindern.

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