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  • AutorenbildDr. Albrecht Gundermann

Warum Winnetou und der Mauerfall für mich – und auch nur für mich – ewig verbunden bleiben werden

Aktualisiert: 5. Sept. 2022

Als Referendare in Berlin Mitte der Neunziger Jahre hatten wir diese tolle Wohnung in den letzten (Vorzeige-)Plattenbauten der DDR – Wilhelmstrasse. Freier Blick auf den noch unbebauten Potsdamer Platz, den Pariser Platz und den Reichstag, der bei unserem Einzug gerade verhüllt wurde. Irgendwann entstand langsam das Mosse-Palais als erstes Gebäude im ehemaligen Todesstreifen vor unserer Haustür. Gegenüber wohnten Breuel und Merkel, unten war eine Schwulensauna, nebenan ein Russenpuff. Quickborner, der ich bin, erlebte ich staunend die große Stadt. Die alte DDR Nomenklatura lebte einen Block weiter: Kati Witt und einige SED Größen. Unter deren Fenster war einst Hitler gestorben, wie ich seit dem Film „Er ist wieder da“ weiß.


Herrliche Zeiten. Ein Ort legendärer Parties, vor allem im warmen Sommer 1995. Die Teilnehmer werden sich erinnern. Ich nenne keine Namen. Mein alter Mitbewohner ist heute honoriger Partner einer wichtigen Hamburger Kanzlei. Damals war er Partylöwe. Aber auch diese Zeit mußte irgendwann zu Ende gehen, denn die Frau in Jerusalem, mit der ich damals ein Jahr zusammen war und heute seit 26 Jahren zusammen bin, meinte so ungefähr 1997, wir sollten doch mal eine Familie gründen. Die Idee fand ich gut. Also wurde die Wilhelmstrasse aufgegeben.


Die Weitervermietung erfolgte über die alte sozialistische „Kommunale Wohnungsverwaltung“, die bereits anders hieß und eine GmbH geworden war. Aber sonst war sie noch ganz DDR. Gelegentlich meldeten sich Interessenten, die die Wohnung sehen wollten. So rief eines Abends eine Frau mit einem starken osteuropäischen Akzent an: „Guten Abend, Härr Gunderrmann! Wirr wollen sehen Ihrre Wohnung!“ Sehr freundlich. Name klang auch osteuropäisch. Wir verabredeten uns für den kommenden Abend zur Besichtigung. Ich stellte mir eine russische Mutti mit roten Pausbacken und einem Kopftuch vor. Insgeheim erhoffte ich mir einen großen Topf Borschtsch als Mitbringsel.


Als es am nächsten Abend klingelte, stand da keine Babuschka. Eine elegante und sehr charmante ältere Dame trat im Pelzmantel ein, schüttelte meine Hand und nannte ihren Namen: „Schabowski“. Dahinter stand er. Viel größer als ich ihn mir jemals vorgestellt hätte und im Trenchcoat: Günther Schabowski. Er trat ebenfalls ein und lächelte mich etwas verlegen an und nuschelte „Schabowski“. "Das tritt nach meiner Kenntnis – Schabowski“ in meiner Wohnung! Hammer!


Die beiden schauten sich die Wohnung an. Dann setzten wir uns ins Wohnzimmer und plauderten etwas. Schabowskis wohnten schon länger nebenan im Nomenklatura-Block. Aber sie wollten sich verkleinern. „Herr Gundermann, Se wissen ja, ick werd ne Weile ortsabwesend sein. Da wolln wir wenijer Platz.“ Ja, das wußte ich. Gerade war durch die Presse gegangen, daß Schabowski nun ins Gefängnis mußte. Krenz, Kleiber und er waren wegen des Schießbefehls an der Mauer zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Schabowski hatte auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet und die moralische Schuld im Gegensatz zu den beiden anderen anerkannt. Das hatte mir imponiert. Dann gingen die beiden wieder und versprachen eine Rückmeldung.


Zu dieser Zeit hatte ich einen Anrufbeantworter. Für alle unter 45: Das waren eigenständige Geräte, deren Funktion heute von der „Mailbox“ oder „Voicemail“ übernommen werden. Wir machten uns immer einen Spaß aus den Ansagen, die man auf einem kleinen Kassettenrecorder aufnahm. Damals meldete ich mich zu den Klängen der wunderbaren Winnetou-Musik von Martin Böttcher. Wahrscheinlich sind die Filme überhaupt nur so populär geworden durch diese Musik. Wenn die ARD gesagt hätte, wir senden die Filme nicht mehr, aber die Musik spielen wir weiter – die Leute würden weiter glücklich ihren Rundfunkbeitrag leisten. Der Text meiner Ansage lautete ungefähr so: „Howgh, hier spricht Winnetou Gundermann. Ich kann leider gerade nicht abnehmen, weil ich mit meinem Pferd durch den Jura Canyon reite. Hinterlassen Sie bitte ein paar Rauchzeichen nach dem Signalton. Howgh.“


Einen Tag später kam ich von der Bibliothek oder vom Fußball nach Hause und hörte diesen Anrufbeantworter ab: Erst Stille, dann politbürohaftes Kichern. Räuspern. „Häuptling Gundermann, verjessen Se nicht, Ihrn Gaul zur Tränke zu führn. Ihr Wigwam ist uns etwat zu klein. Aber war nett bei Ihnen und vielen Dank. Howgh.“ Während ich mich schlapp lachte, saß irgendwo in Luftlinie 100 Meter ein älterer Herr im Ohrensessel und träumte vermutlich von Gojko Mitic.


Ich mochte den Schabowski. Trotz allem. Und Winnetou mochte ich auch.





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